Für die ältere Generation war der Lebensweg praktisch vorbestimmt. Es hieß die Schule erfolgreich abzuschließen und danach so früh wie möglich mit der Arbeit zu beginnen. Selbst das Studium wurde teilweise kaum wertgeschätzt und das zusätzliche Einkommen wurde dringend benötigt. Nach erfolgreichem Einstieg ins Berufsleben wurde dies bis zum Rentenalter ausgeführt. Nicht selten wurde die gesamte Karriere nur bei einem einzigen Arbeitgeber verbracht.
Heute sieht die Welt, zum Glück, ganz anders aus. Es gibt viele alternative Lebensmodelle, die nicht mehr den Beruf in den Mittelpunkt des Daseins zwängen. Vielmehr wird sich wieder darauf besinnt, dass der Job dazu dient ein erfülltes Leben zu leben. Und nicht, dass sich das Leben nur um den Job dreht.
In extremer Weise versuchen sich die Anhänger der FIRE-Bewegung von den Zwängen des Arbeitslebens zu lösen. Ihnen geht es darum so früh wie möglich ein großes Vermögen anzuhäufen und nur noch vom Ersparten zu leben. Mit Anfang 30 bereits in die Rente zu gehen und den Tag frei gestalten zu können, klingt sicherlich auch für Dich verlockend.
Doch ist solch ein Lebensstil auch in Deutschland möglich und was genau hat es mit der FIRE-Bewegung auf sich?
Ziel der FIRE Bewegung
Die FIRE-Bewegung stammt aus den USA. Der Begriff ist dabei weniger mit dem englischen Feuer verwandt, sondern ist eine Akronym für „(F)inancial (I)ndependance (R)etire (e)arly“. Im Kern geht es also darum finanziell unabhängig zu sein und sich früh zur Ruhe zu setzen.
Anstatt also ein lebenslang jede Woche einen großen Teil seiner Lebenszeit für den Job aufzubringen, steht der Mensch und seine individuellen Bedürfnisse im Vordergrund. Nicht erst im hohen Alter, wenn die Gesundheit einschränkend wirkt, sondern bereits in relativ frühen Jahren soll die Loslösung vom Berufsalltag gelingen. Dadurch ist es möglich sich komplett der Selbstverwirklichung zu widmen und sein Leben frei zu gestalten.
Entstanden ist diese Bewegung in den USA und erfreut sich einer immer höheren Beliebtheit. Insbesondere unter Besserverdienern an der West- und Ostküste erlangt dieser Lebensstil in ein immer größeres Bewusstsein. Arbeitnehmer erkennen, dass ein üppiges Gehalt von mehr als 100.000$ zwar ein auskömmliches Leben ermöglicht, die aufgebrachte Arbeitszeit aber nicht zu ersetzen ist. Gerade in Berufsgruppen mit hohem Einkommen, aber auch gleichsam hohem Druck scheint es verlockend, sich der FIRE-Bewegung anzuschließen. So ist es nicht verwunderlich, dass vor allem bei IT-lern im Silicon Valley der FIRE-Lifestyle[1] so beliebt ist. Innerhalb weniger Jahre wird der Großteil des Einkommens gespart und wenn die magische Marke des Vermögens geknackt wurde, wird das Leben in die eigenen Zügel genommen.
Grundlage ist dabei das Anlegen des Vermögens, sodass praktisch für eine unbegrenzte Dauer ein passives Einkommen besteht. Als „magische Regel“ wirst Du in diesem Zusammenhang vielleicht schon von der 4% Regel gehört haben. Diese besagt, dass bei einer langfristigen Anlage in ETFs eine Entnahme von 4% des Portfolios eine Wertstabilität bedeutet. Da ETFs im Durchschnitt mehr als 5% im Jahr wachsen, können also die besagten 4% entnommen werden, ohne dass das Vermögen schmilzt.
Doch was gehört noch zu der FIRE-Bewegung?
Unterschiedliche Strömungen
Die ursprüngliche FIRE-Bewegung richtet sich deutlich an Besserverdiener, denen es möglich ist einen Großteil des Einkommens zu sparen. Nicht für alle Arbeitnehmer ist dies realistisch. Daher haben sich weitere Strömungen gebildet, die ebenfalls mit einer größeren finanziellen Unabhängigkeit und weniger Zwang im Berufsleben liebäugeln.
Coast Fire
Nicht jeder Arbeitnehmer möchte sich so früh wie möglich zur Ruhe setzen. Macht Dir Dein Beruf Spaß und erfüllt die Karriere Dich, dann musst Du dies nicht zwangsläufig aufgeben.
Beim Coast Fire geht es darum ein sicheres finanzielles Polster aufzubauen, welches Dir eine größere Unabhängigkeit verleiht, ohne jedoch an Lebensqualität einzubüßen. Das Vorgehen sieht so aus, dass Du mit Anfang 30 bereits eine möglichst große Summe ansparst. In den USA wird dabei eine Summe von knapp 200.000$ beschrieben. Wurde dieses Ziel erreicht, musst Du kein weiteres Geld mehr ansparen. Die Anfangsinvestition der 200.000$ reicht aus, um in den nächsten 35 Jahren auf ein Vermögen von 1.000.000$ anzuwachsen. Somit wächst Dein Kapital vollkommen passiv, während Du Dich nicht mehr zum Sparen zwingen musst. Kannst Du Dir vorstellen bis zur Rente zu arbeiten und möchtest Du Dich einfach finanziell absichern, dann spare in jungen Jahren so viel wie möglich, um maximal vom Zinseszinseffekt zu profitieren.
Lean Fire
Zählst Du nicht zu den Spitzenverdienern und kannst kaum am Einkommen etwas bewegen, dann gilt es die Ausgabenseite zu minimieren. Dies ist der Hauptaspekt beim Lean Fire, welches auch für Personen mit mittlerem Einkommen den früheren Ruhestand ermöglicht.
Das Ziel besteht hierbei die Lebenskosten zu minimieren. Nicht selten bedeutet dies, in einer Wohngemeinschaft zu leben und auf Kinder zu verzichten. Ist dies kein Problem für Dich und stimmt mit Deiner Lebensplanung überein, dann solltest Du überprüfen, wie hoch Deine Lebenskosten sind.
Der Ruhestand ist zum Greifen nahe, wenn ein Vermögen in Höhe des 25-fachen der Jahresausgaben erreicht wurde. Bei Ausgaben von 20.000€ im Jahr bedeutet dies, dass das Vermögen mindestens 500.000€ betragen sollte. Dann ist es möglich in den Ruhestand zu gehen und nur noch vom Ersparten zu leben. Allerdings sollte klar sein, dass keine großen Sprünge möglich sind und der Lebensstil relativ minimalistisch – eben „lean“ – ist.
Barista Fire
Als Ergänzung zum Lean Fire ist auch das Barista Fire eine nette Abwechslung. Hierbei geht es nicht darum sich komplett aus dem Arbeitsleben zu verabschieden, sondern in die Teilzeit zu wechseln oder einen deutlich schlechter bezahlten Job anzunehmen. Dies ist mit dem Ziel verbunden eine Arbeitstätigkeit auszuüben, bei der weniger das Geld im Vordergrund steht, sondern die Selbsterfüllung.
Der Ablauf sieht also so aus, dass zunächst Vollzeit im eigentlichen Beruf ein ordentlich großes Vermögen angespart wird. Mit einem komfortablen Polster wird danach der Wechsel in die Teilzeit oder in einen anderen Beruf angestrebt. Das Einkommen kann ausreichend sein, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das angesparte Vermögen wächst passiv weiter, sodass im Alter ein großes finanzielles Polster vorliegt.
Bewusst sparsam leben
Entgegen der häufigen Darstellung geht es bei FIRE nicht darum auf möglichst viel zu verzichten und die Ausgaben auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Eher geht es darum einen bewussteren Konsum anzustreben und Kostenfallen zu vermeiden.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass FIRE häufig mit einem frugalen Leben oder dem Minimalismus in Verbindung gebracht wird. Wichtig ist, dass das Sparen nicht dem Selbstzweck dient.
Macht Dir Dein Beruf Spaß und gibst Du gerne Geld aus, dann spricht nichts dagegen bis zur Rente zu arbeiten und die Sparsumme gering zu halten. Immer mehr Menschen möchten jedoch im jüngeren Alter etwas von der Welt sehen und sich zu diesem frühen Zeitpunkt die Träume verwirklichen.
Da das Sparen mit dem Ziel verbunden ist, eine größere Freiheit zu erreichen, wird dies nicht als Einschränkung wahrgenommen. Vielmehr wächst mit der Sparsumme auch das Selbstbewusstsein den Job zu wechseln und eigenständige Entscheidungen treffen zu können.
Wie realistisch ist die Rente in jungen Jahren in Deutschland?
Das Konzept der FIRE-Bewegung stammt ursprünglich aus den USA. Dort sind die steuerlichen und sozialen Voraussetzungen gänzlich anders als in Deutschland. Geringere Steuern und Abgaben sorgen dafür, dass ein größerer Teil des Einkommens zur freien Verfügung steht.
In Deutschland beträgt der Spitzensteuersatz bereits 42%. Zusammen mit den hohen Sozialabgaben bedeutet dies, dass Arbeitnehmer weniger frei über das Einkommen entscheiden können. Ein Großteil wird an den Staat abgegeben und kann nicht selber in das Sparvermögen angelegt werden.
Auf der anderen Seite besteht in Deutschland ein größeres soziales Netz. Während in den USA ein hoher Notgroschen durchaus sinnvoll ist, um eine Zeit der Arbeitslosigkeit zu überbrücken, ist dies in Deutschland weniger notwendig. Auch ist das Rentensystem in Deutschland großzügiger und verlangt weniger Eigeninitiative.
Aufgrund der höheren Belastung ist es unlängst schwerer einem kompletten FIRE nachzugehen und sich in Deutschland früh zur Ruhe zu setzen. Bereits mit 30 Jahren ein Vermögen von 1.000.000 Euro anzuhäufen, um davon zu leben, ist für die meisten unrealistisch.
Dennoch scheinen die Grundprinzipien auch für einige Arbeitnehmer in Deutschland ansprechend zu sein. Komfortable finanzielle Reserven zu besitzen erlauben bei der Jobwahl größere Freiheiten und wenn es nicht gleich mit dem Ruhestand klappt, dann ist ein Sabbatical ja auch ganz nett.
Der Ausstieg aus dem Berufsleben
Was in den USA, besonders im Tech-Bereich, im Trend liegt, ist in Deutschland nur schwer zu verwirklichen. Mit Anfang 30 oder 40 sich in Deutschland zur Ruhe zu setzen ist selbst für Spitzenverdiener kaum umsetzbar.
Dennoch scheint der Kerngedanke hinter der FIRE-Bewegung interessant. Bewusst den Konsum zu reduzieren und einen Großteil des Einkommens in jungen Jahren zu sparen, um im Alter davon zu profitieren. Durch das Investieren in ETFs lässt sich auf diesem Wege eine komfortable Rendite von mindestens 5% avisieren, welche dank des Zinseszinseffektes in jungen Jahren zu einer beachtlichen Summe heranwächst.
Wenn es mit dem Ruhestand nicht klappt, ist die Möglichkeit in Teilzeit zu wechseln ein interessanter Karriereweg. Aufgrund des staatlichen Rentensystems und des starken Sozialsystems ist die dafür notwendige Summe niedriger als in den USA und erlaubt daher in gewisser Weise bereits früher eine höhere Freiheit.
Somit ist die Rente mit 40 in Deutschland nur für die wenigsten möglich, aber ein Umdenken und eine Adaption des FIRE kann dennoch zu einem erfüllterem Leben führen, wo nicht die Arbeit den Lebensmittelpunkt bis zur Rente einnimmt.
Weiterführende Links
1 | https://www.daveramsey.com/blog/what-is-the-fire-movement |
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